INTERVIEW ZUR SERIE SUSTAINABILITY AN DEN FINANZMÄRKTEN (5): ANNA BREMAN, SVERIGES RIKSBANK

„Wir haben eine enorme Lernkurve“

Die stellvertretende Chefin der schwedischen Zentralbank über eine grüne Ausrichtung der Geldpolitik

Artikel Interview

Frau Breman, welche persönlichen Lehren haben Sie aus der Covid-19-Pandemie gezogen?

Anna BremanDa gibt es viele Lehren. Zunächst einmal war es eine Gesundheitskrise, die dann in eine schwere Wirtschaftskrise mündete. Und es bestand durchaus die Gefahr, dass es zu einer Finanzkrise hätte kommen können. Wir müssen Krisenmanagement betreiben unter sehr vielen Unsicherheiten. Und dieses Krisenmanagement mussten wir von zu Hause aus, also remote, realisieren. Das erforderte ja nicht nur, dass alle Systeme in diesem Homeoffice-Umfeld einwandfrei funktionieren mussten, sondern dass auch alle Mitarbeiter so arbeiten mussten. Ich bin beeindruckt davon, wie gut das alles funktioniert hat, und zwar Tag und Nacht.

Gibt es andere Krisenerfahrungen?

Ja, ein weiterer Punkt ist, dass wir in anderen Krisen auch eine internationale Zusammenarbeit hatten, die eben auch das Reisen erforderte. Das musste in der Pandemie verständlicherweise alles gestoppt werden. Und wir haben eine enorme Lernkurve erlebt: Anfangs waren es nur Telefonkonferenzen, dann kamen die Videokonferenzen. Eine besondere Erfahrung war zudem, wie man in diesen Zeiten auch noch neue Personen kennenlernen kann. Das ist eine wichtige Erfahrung für die Zukunft, gerade auch für unser Land, wenn wir mit unseren europäischen Partnern in Kontakt treten. Es ist nicht erforderlich, dass man sich immer persönlich treffen muss. Man kann gut mit Personen auf einer Remote-Basis zusammenarbeiten und durchaus auch gute neue Kontakte auf diese Art und Weise knüpfen. Das heißt natürlich nicht, dass ich mich nicht auch freue, Menschen wieder persönlich zu treffen. Aber wir müssen eben auch an Klima- und Nachhaltigkeitsaspekte denken. Die Option der Videokonferenz ist eben sehr effizient. Natürlich werden wir alle dazu zurückkehren, auch Personen wieder zu treffen, aber ich denke, das wird längst nicht mehr in dem Ausmaß stattfinden, wie es vor der Pandemie der Fall gewesen ist.

Und welche Lehren haben Sie aus der Sicht der Zentralbank Sveriges Riksbank gezogen?

Es kam darauf an, schnell und innovativ zu handeln. Wir haben eine Reihe von neuen Maßnahmen ergriffen, die wir so niemals zuvor während anderer Krisen in unserer Zentralbankpolitik gesehen haben. Dies ist eine andere Art von Krise. Als Erstes haben wir das Funding-for-Lending-Scheme eingeführt. Das war neu für die Riksbank. Als Nächstes kam das Quantitative Easing, bei dem die Assetklassen, die wir kauften, sukzessive ausgeweitet wurden. Waren es zunächst nur Staatsanleihen, wurde das Programm später auf Covered Bonds, Kommunalanleihen und dann auch auf Unternehmensanleihen ausgeweitet. Das war eine Krisenbewältigungsart: Neue Instrumente kaufen und dabei sehr schnell reagieren. Auf diese Art und Weise haben wir uns dagegen gestemmt, dass die wirtschaftliche Krise zu einer enormen Finanzkrise werden würde. In diesem Zusammenhang haben die Maßnahmen anderer Zentralbanken im Zusammenspiel unzweifelhaft auch sehr geholfen.

Welche Rolle können Zentralbanken spielen, wenn es darum geht, Klima- und Nachhaltigkeitsaspekte unterstützend anzugehen?

Die Zentralbanken haben eine wichtige Rolle. Denn wir können die Instrumente anderer politischer Entscheidungsträger wie nationaler Parlamente oder internationaler Organisationen komplementär begleiten. Solche Instrumente sind Emissionshandelssysteme oder CO2-Preise. Innerhalb ihres Mandats können die Zentralbanken aber im Wesentlichen drei Aufgaben erfüllen. Der erste Aspekt ist das Research. Wir haben bei uns exzellente Researcher. So können wir die Effekte des Klimawandels auf unsere Volkswirtschaften und die Finanzsysteme untersuchen und verstehen. Der zweite Aspekt ist die Regulierung. In Schweden haben wir die Financial Supervisory Authority – kurz FSA. Bei ihr liegt die Hauptverantwortung für die nationale Regulierung der Banken. Aber als Zentralbank können wir die Regulierungsfragen im Zusammenhang mit Klimaaspekten in Zusammenarbeit mit anderen internationalen Institutionen adressieren. Auf diese Art und Weise können wir dann internationale Standards und Normen entwickeln. In diesem Bereich sind wir auch sehr aktiv.

Und was ist der dritte Bereich?

Das betrifft unsere eigene Zentralbankbilanz und damit unser eigenes Risikomanagement. Wir haben sehr viele Assets gekauft, und wir bekommen Sicherheiten gestellt, wenn wir Geld an eine Bank verleihen. Wir analysieren dann, was wir an Assets haben und welche eigenen Klimarisiken wir damit auf unserer Bilanz haben. Ich möchte das an einem Beispiel verdeutlichen: Im vorigen Jahr haben wir angefangen, Unternehmensanleihen zu kaufen. Wir trafen die Entscheidung, die mit diesen Anleiheassets verbundenen CO2-Emissionen zu messen und auch zu veröffentlichen. Das kann auf unserer Webseite nachvollzogen werden. Wir haben zudem negative ESG-Screenings eingeführt. Das hat natürlich nicht nur etwas mit Klimaaspekten zu tun, sondern hat einen breiteren Fokus und geht in Richtung von Sustainability. Bei diesen Screenings gehen wir viel weiter und sehen uns an, welche negativen Implikationen dort bei Unternehmensanleihekäufen bestehen, die wir durchgeführt haben. Diese Aspekte finden via Risikomanagement dann auch Niederschlag in der Zentralbankpolitik der Riksbank. Somit kommen Nachhaltigkeitsaspekte bei dem Bilanzmanagement und damit bei unseren strategischen Reserven zum Einsatz.

Und was ist die Strategie der Riksbank für die Zukunft in dieser Hinsicht?

Wir haben im Dezember 2020 eine Sustainability-Strategie eingeführt, die auch auf unserer Webseite nachgelesen werden kann. Es ist unsere Agenda 2030 und wie unsere eigenen Aktivitäten in Sachen Nachhaltigkeit auszurichten sind, um die globalen Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Das betrifft nicht nur die Zentralbankpolitik als solches, sondern auch die physische Produktion von Münzen und Banknoten. Es betrifft aber auch viele andere unserer Aktivitäten, bei denen wir künftig sehen müssen, wie wir unter Klima- und Nachhaltigkeitsaspekten effektiv sein werden. Es ist ein Prozess by Doing. Das wichtigste Ziel im Rahmen unseres Mandas ist die Erhaltung der Preisstabilität. Als Zentralbank müssen wir sehen, was wir im Rahmen unseres Mandats darüber hinaus noch für andere Ziele wie etwa Klima- und Umweltaspekte tun können.

Welche Herausforderungen sehen Sie auf Zentralbanken in Klima- und Nachhaltigkeitsfragen künftig zukommen?

Ich möchte den Aspekt Klimawandel hierbei fokussieren. Es gibt viel zu lernen. Wir müssen lernen, wie der Klimawandel die globale Wirtschaft und die nationalen Volkswirtschaften beeinflusst. Die schwedische Wirtschaft ist stark exportorientiert. Wir haben die Bereiche Forstwirtschaft, Stahl und das verarbeitende Gewerbe. Das sind also alles Bereiche, die klar durch einen Übergang zu einer kohlenstoffarmen Wirtschaft beeinflusst werden. Wir haben es hier derzeit auch mit einer stark ansteigenden Lernkurve zu tun. Wir versuchen, genau diese relevanten Aspekte alle in unsere Analyse der wirtschaftlichen Entwicklungen und der Inflationsentwicklungen zu integrieren. Das erfordert natürlich Zeit. Wir arbeiten hier mit anderen Zentralbanken und anderen Researchern zusammen. Die Finanzsysteme und ihre Akteure leisten dabei eine sehr wertvolle Arbeit. Dabei werden uns nicht nur Klimaszenarios geliefert, sondern auch Modelle und diverse andere Aspekte für unsere Arbeit. Das bringt uns auch wertvolle Erkenntnisse für unsere Arbeit auf globaler Ebene, um diese Aspekte weiter voranzubringen.

Welchen Herausforderungen sehen sich Zentralbanken in der Übergangsphase zu einer grüneren und nachhaltigeren Welt sowie Finanzmärkten gegenüber? Sollten wir vor diesem Hintergrund ein grünes und nachhaltiges Element in der Zentralbankpolitik implementieren?

Die Zentralbanken arbeiten alle zusammen an diesem Themenkomplex, und momentan geht es im Wesentlichen auch darum, ein gemeinsames Verständnis für diesen Themenkomplex zu entwickeln. Wir arbeiten alle sehr aktiv an diesen Fragestellungen. Dabei gibt es praktische Herausforderungen, wozu der Aspekt der Daten gehört. Wir wissen, dass Unternehmen und Finanzinstitutionen noch nicht genügend Daten über ihre klimabezogenen Risiken berichten. In diesem Jahr arbeiten wir sehr intensiv daran, Standards für entsprechende Reportings dieser Daten zu entwickeln.

Das heißt?

Es geht dabei um die Frage, inwieweit freiwillige Datenveröffentlichungen künftig zu verpflichtenden Angaben für die Institutionen werden. Das ist aber meine persönliche Meinung. Denn dadurch wird es auch für die Zentralbanken erleichtert, einen Überblick über die klimabezogenen Risiken im Finanzsystem zu bekommen. Dadurch können dann Risiken überhaupt erst gemanagt und auch abgemildert werden. Die Zentralbanken haben alle Mandate, und sie müssen sehen, was sich innerhalb dieser Mandate realisieren lässt. Die Zentralbanken agieren als Komplementäre zu anderen Einheiten wie Regierungen. Was die jeweiligen nationalen Zentralbanken unternehmen können, hängt auch von der jeweiligen Ausgestaltung ihres Mandats und den rechtlichen Strukturen im dem betreffenden Land ab. Die Risikomanagement-Perspektive ist dabei ein sehr wichtiger Aspekt, d. h. die Risiken auf der eigenen Bilanz bei Assetkäufen oder Sicherheitenstellungen zu berücksichtigen.

Die Riksbank partizipiert ebenso wie viele andere Zentralbanken und Institutionen im sogenannten „Network of Central Banks and Supervisors for Greening the Financial System – (NGFS)“. Auf welche weiteren Schritte des NGFS können sich Marktteilnehmer in diesem und im nächsten Jahr einstellen?

Wir arbeiten an einem umfangreichen Programm. Ein wichtiger Aspekt ist das Reporting von klimabezogenen Daten. Darüber hinaus arbeiten wir an der Entwicklung und der Bereitstellung von diversen Klimaszenarien. Und es geht natürlich auch um die Frage, inwieweit die Zentralbanken selbst klimabezogene Daten bereitstellen können. Das kann sich zum Beispiel auf die klimabezogenen Daten unseres Unternehmensanleiheportfolios beziehen. Es geht natürlich darum, inwieweit wir berichten, wie unsere klimabezogenen Risiken in diesen Portfolios aussehen. Bezüglich des Reporting geben wir auch entsprechende Empfehlungen an Unternehmen und Finanzinstitutionen ab. Es ist wirklich wichtig, dass die Zentralbanken diesen eingeschlagenen Weg weitergehen. Das NGFS gibt dabei Empfehlungen ab, wie die Zentralbanken diese Reportings künftig ausgestalten sollten.

Bei der Bekämpfung der Covid-19-Pandemie hat Schweden im Vergleich zu anderen Staaten einen eigenen Weg eingeschlagen mit sehr hohen Freiheitsgraden. Ist das auch ein Teil der Sustainability-Strategie aller Institutionen Schwedens inklusive der Riksbank?

Ich kann die Pandemie-Strategie der Regierung und der Gesundheitsbehörden nicht kommentieren. Wir sind den Vorgaben dieser Strategie natürlich auch bei der Zentralbank gefolgt. Dazu gehörte etwa, dass die Mitarbeiter, wo immer es möglich war, von zu Hause aus arbeiten. Das wird auch wenigstens bis September dieses Jahres so weitergehen. Die meisten Mitarbeiter arbeiten seit mehr als einem Jahr von zu Hause aus. Ein kleiner Teil der Mitarbeiter ist natürlich in der Zentralbank vor Ort. Das ist aus Sicherheitsgründen bei einer Institution wie einer Zentralbank gar nicht anders machbar. Das System erfordert das. Aber auch in den Büros und etwa der Cafeteria etc. herrscht ein Höchstmaß an Vorsicht vor, was etwa die Anzahl von Personen an Tischen etc. betrifft. Es gibt wie an anderen Orten auch eine ganze Reihe vor Vorschriften und Empfehlungen, die es zu beachten gilt. Reisen sind praktisch völlig zum Erliegen gekommen, Reden finden ebenfalls digital statt. Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Riksbank eine öffentliche Institution ist, die an das Parlament und nicht an die Regierung gebunden ist. Das ist ein wichtiger Unterschied.


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